27.6.2019 Elske und Hartmut Pflughaupt
In Schweden ist Midsommar nach Weihnachten das zweitgrößte Fest des Jahres. Es wird im Kreise der Familie, Verwandten, Freunde und Nachbarn gefeiert. Seit 1953 ist gesetzlich geregelt, dass dieses Fest immer an dem Sonnabend gefeiert wird, der zwischen dem 20. und 26. Juni liegt.
Am Freitag davor – Midsommarafton – der zwar kein offizieller Feiertag ist, haben die meisten Firmen geschlossen und die Geschäfte sind nur vormittags geöffnet. Die Bewohner der großen und kleinen Städte fahren meist raus zu den Sommerhäusern oder aktivieren den heimischen Garten. Auch am Sonnabend sind die meisten Geschäfte geschlossen oder haben nur ganz eingeschränkte Öffnungszeiten.
Am Mittsommerabend wird ein mit grünen Blättern und Blumen geschmückter Baumstamm aufgerichtet, die Mittsommerstange (midsommarstång) oder Maistange (majstång) genannt wird. Maj hat hier nichts mit dem Monat Mai zu tun, sondern geht auf das altertümliche Verb maja („mit Blumen schmücken“) zurück.
Schon beim Aufrichten werden von einer kleinen Kapelle schwedische Volksweisen gespielt und danach wird im Kreis um den Baum herumgetanzt. Dabei sind verschiedene Spieltänze üblich. Eines dieser Tanzlieder ist “Små grodorna“: Es handelt von Fröschen und man imitiert beim Tanzen deren Bewegungen.
Zum Fest zieht man sich fein an, die Mädchen und Frauen haben meist weiße oder blumige Kleider an; viele tragen zu dieser besonderen Gelegenheit auch ihre Trachten. Einige binden Kränze aus Blumen oder Birkenzweigen und setzen sie sich oder ihren Kindern auf.
Bereits vor zwei Jahren waren wir, angeregt durch eine Sendung von Mare-TV über den Stockholmer Schärengarten schon einmal zu Midsommar auf Rödlöga, einer Schäre nordöstlich von Stockholm. Die Freitag nachmittäglichen Feierlichkeiten haben uns sehr gefallen. Daher stand schon seit Wochen fest, Midsommar dieses Jahr wieder hier zu verbringen.
Rödlöga wird seit den 1530er Jahren bewohnt. 1535 wird der vermutlich erste Bewohner der Insel urkundlich erwähnt. Zunächst lag das Dorf auf der Insel weiter oben und wurde bedingt durch die Landhebung im 18. Jahrhundert an den nördlichen Fladen verlegt. Die Einwohnerzahl stieg und Ende des Jahrhunderts beteiligten sich die Bewohner am Lotsendienst bei Svenska Högarna. Die Bewohner lebten von Landwirtschaft und Fischerei. Dabei wurde die Inseln direkt bei Rödlöga für ca. 30 Kühe und viele Hunderte Schafe als Weideland genutzt. Von der Brandschanzung durch die Russen 1719 blieben die Insel und seine Bewohner wundersamer Weise verschont.
Um die Jahrhundertwende von 1900 gab es für die Kinder der Insel ganzjährig einen festangestellten Lehrer, ab den 1930er Jahren allerdings nur noch in den vier Sommermonaten. Zu dieser Zeit war der Kartoffelanbau die Haupteinnahmequelle der ca. 85 Bewohner. Kurz vor dem 1. Weltkrieg kamen die ersten Sommergäste nach Rödlöga.
Heute ist die Insel im Wesentlichen eine Sommerhaussiedlung mit ca. 150 Haushalten. Es gibt weder eine Versorgung mit Elektrizität noch mit Trinkwasser, das an Handbrunnen gezapft werden muss. Die Stromversorgung der Häuser wird durch Solarzellen und Windgeneratoren bewerkstelligt.
Der „Rödlögaboden“ ist der östlichste Landhandel Schwedens. Er ist von Mitte Juni bis Mitte August geöffnet, bietet ein reichhaltiges, hochwertiges Sortiment und hat einen eigenen Generator, um die Kühlvitrinen zu betreiben. Seit einigen Jahren gibt es im Sommer auch das „Cafe Truten“ mit herrlichem, selbstgebackenem Kuchen und einer Büchertauschecke.
Rödlöga verfügt über keinen Hafen. Man kann entweder in der nordwestlichen Bucht am „Seglarberget“ mit Heckanker an der Schäre festmachen oder in der Bucht beim Fähranleger ankern. Dort gibt es auch eine blaue Mooringtonne der schwedischen Kreuzerabteilung, an der wir dieses Jahr festmachen wieder konnten.
Rechtzeitig – nein eigentlich viel zu früh – fahren wir mit unserem Schlauchboot zum Anleger lassen uns auf den Steinen bei der kleinen Festwiese neben dem Laden zusammen mit Sabine und Michael Raschdorf von der „Circle“ nieder. Als Marschverpflegung haben wir Kaffee, Tee und Kekse dabei.
Eigentlich soll das hier um 15:00 Uhr losgehen, aber es dauert so seine Zeit, bis die Inselbewohner eintreffen und sich ebenfalls häuslich niederlassen.
Für die musikalische Untermalung sorgt die Inselkapelle, bestehend aus je zwei Akkordeonen und Geigen, einem Saxophon und einer Flöte.
Dann geht es los. Der Zeremonienmeister begrüßt die Anwesenden und unter seiner Regie wird der Baum gestellt, den ein Hahn als Fruchtbarkeitssymbol krönt.
Anschließend wird „Små grodorna“, das Lied von den kleinen Fröschen angestimmt und Kinder und Erwachsene tanzen singend um den Baum. Diverse Volksweisen folgen und die Erwachsenen sind mit der gleichen Begeisterung dabei wie die Kinder.
Schließlich gibt es für alle Generationen Kartoffellaufen (sprich Eierlaufen nur mit einer Kartoffel), Sackhüpfen und Wettrennen bei dem 3-Personen hintereinander synchron auf zwei Brettern laufen.
Auch in diesem Jahr haben wir es nicht bereut an diesem unterhaltsamen Nachmittag – wenn auch nur als Zuschauer - teilgenommen zu haben. Es immer wieder schön, diese alten schwedischen Traditionen mitzuerleben.
PS: Vor zwei Jahren hatte sich Elske auch einen Midsommarkranz gebunden. Da Blumen an Bord aber bekanntlich Unglück bringen (wir sind ja überhaupt nicht abergläubisch) und wir dieses Jahr an der Tonne gelegen haben, gab es diesmal keine Neuauflage. Hier ein Bild von 2017.
Informationen zum Teil von Wikipedia, der Homepage von Rödlöga und dem Buch Stockholms Schärengarten von Ulf Sörensson. Alle Bilder von Hartmut Pflughaupt